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Prolegomena zu einer Kritik der Unsitte

Die Zeichen, sie mehren sich. Einige Erlebnisse der letzten Monate, wild aneinandergereiht:

  • In einem regionalen DB-Konkurrenten: Fahrscheinkontrolle. Die Kontrolleuse überprüft einen jungen Mann mit ungültigem Ticket. Der stimmt zu und erklärt, das neue Ticket bereits zu haben, es läge bloß zuhause. Sie bittet um das Papier, um einen Blick auf Namen und Adresse werfen zu können. Der Schwarzfahrer weigert sich und verläßt den Zug am nächsten Bahnhof, angeblich seinem Zielbahnhof. Auf meine Frage an die beiden Schaffner, ob das jetzt alles gewesen wäre, erklärt die Chefin: Ja, denn sie dürften ihm die Papiere keineswegs aus der Hand nehmen und ihn auch nicht festhalten. ‚Dafür sind wir nicht qualifiziert, es gibt Kollegen mit Spezialausbildung, aber die haben wir nicht.‘ Und der Kollege setzt hinzu: ‚Wir möchten uns ja auch nicht abstechen lassen.‘
  • Irgendein größerer Bahnhof mit Backwerk-Filiale. Ich möchte gerade zahlen, da springt der Kassierer auf und einige Schritte zu einem jungen Mann hin, dem er zwei belegte Brötchen (Schätzwert bei zehn Euro) aus der Tasche zieht, die er sofort im Mülleimer deponiert (Hygiene und so). Er muß dem Dieb nicht einmal die Tür weisen, der geht freiwillig. Auch hier frage ich, ob das alles gewesen sei und warum er nicht die Polizei gerufen hat. ‚Wenn ich die Polizei rufe, dann kostet das nur meine Zeit und eine halbe Stunde später steht der eh wieder auf dem Bahnhof.‘ Auch dieser Mann hatte keine Lust, mit einem Messer Bekanntschaft zu machen.
  • Ein Regionalzug von Berlin nach Schwerin. Ein illegaler Zuwanderer verschanzt sich als Schwarzfahrer auf dem Klo, die Polizei arbeitet ihn da heraus. Kostet mich den Anschluß, eine Stunde Zeit und 200 Euro. Kaum habe ich im Anschlußzug eine Stunde später Platz genommen, eilt auch der illegale Schwarzfahrer bereits den Gang entlang. Die polizeiliche Behandlung hatte wohl keinerlei Einfluß auf ihn.
  • Ein junges Mädchen auf dem Dammtor-Bahnhof heult wie ein Schloßhund. Auf meine Frage, was denn los sei, sagt sie: ‚Mit dem Geldsammeln hat es heute gar nicht geklappt‘ und sie kann sich im Drop-Inn keinen Schuß setzen. Das macht Entzugsangst. Sie tut mir leid, aber ich zahle nicht für Heroin. Unter keinen Umständen.
  • Hamburg Hauptbahnhof (und nicht nur dort): Dutzende schräger Gestalten betteln die Reisenden an, sei es um Geld, sei es um Essen. Drogis, Alkies, Illegale. Manche betteln in den Läden. Viele filzen die einrollendem Fernzüge auf Pfandflaschen.
  • Vor einigen Tagen: Ein Busfahrer, der gerade seine Schicht beendet hat, nimmt mich mit seinem Fahrzeug in die Wunschrichtung mit, das spart mir eine Stunde. Und er erzählt. Von seinen Eltern, die vor irgendwas dreissig Jahren Gutscheine erhielten und sich schnell einen Job suchten. Und von den Syrern heute, die, wie sein direkter Nachbar, mehr Geld vom Staat erhalten als ein Busfahrer verdient. Der Mann fühlt sich entwertet und entwürdigt.

Warum ist das alles so? Warum ist das Otdungsrecht völlig zahnlos? Gesetze, die nicht durchgesetzt werden, zerstören jeden Respekt für Recht und Gerechtigkeit.

‚Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.‘

Immanuel Kant

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