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Allgemein Donna Lylittha

Say Her Name

Es ist richtig, den Opfern des grausamen Verbrechens von Hanau zu gedenken. Es ist auch richtig, vor den Gefahren des Rechtsextremismus zu warnen und ihn mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Aber dieses Gedenken am 2. Jahrestag der Morde von Hanau wirft auch Fragen auf.

Zu den Gepflogenheiten des Gedenkens gehört, dass allen Opfern eines Verbrechens gedacht wird. Von Bundespräsident, Bundestagspräsidentin, Bundeskanzler über Bundesinnenministerin, BILD und andere Medien, Opferverbänden, unterschiedlichen Gruppierungen und Verbänden bis hin zu tausenden von Einzelpersonen wurde unter #saytheirnames nur 9 statt der 10 Opfer gedacht. Es wurde ein Opfer nicht nur vergessen, sondern bewusst unsichtbar gemacht.

Ich sage jetzt ihren Namen: Gabriele Rathjen, die Mutter des Täters. Sie war 72 Jahre alt und bettlägerig, als sie von ihrem Sohn erschossen wurde.

Lediglich die Bundestagsfraktion von CDU/CSU und die Amadeu-Antonio-Stiftung nahmen Gabriele Rathjen mit in ihr Gedenken auf. Während die Unionsfraktion Gabriele Rathjen als gleichwertiges Opfer aufnahm, bemühte sich die Amadeu-Antonio-Stiftung um eine Relativierung, da Frau Rathjen aus ihrer Sicht ja nicht das eigentliche Ziel des Täters war. Die AAS spekuliert lieber über misogyne Gründe, aber Gabriele Rathjen ist zumindest gut genug, um in die Statistik rechtsextremer Morde einzufließen.

Eine solche Spekulation kann man nur vornehmen, wenn man die eigene Lesart für die einzig richtige hält und dabei alle anderen Erkenntnisse  ausblendet. Dabei hätte doch ein Verbrechen aus Misogynie, einem Femizid, zu einem #Aufschrei führen müssen. Ohne die Migrationsgeschichte der anderen Opfer hätte dieser Mord allerdings lediglich im Hanauer Lokalteil Platz gefunden, selbst wenn der Sohn sein Zimmer mit Hakenkreuzen tapeziert hätte und ein stadtbekannter Anhänger von Landser gewesen wäre.

Vom Bundespräsidenten ignoriert, dient Gabriele Rathjen nur dazu, eine Opferstatistik aufzupeppen. Der Bundeskanzler, dessen einziges Wahlkampfthema „Respekt“ war, lässt diesen Respekt vermissen, weil das Opfer die falsche Herkunft hatte. Die Bundestagspräsidentin fordert die lückenlose(!) Aufklärung der Tat und hat beim Gedenken an die Opfer eine Lücke, Gabriele Rathjen. #SayHerName.

Obwohl dutzende aufmerksamer Menschen bei Twitter auf diesen ungeheuerlichen Missstand der Unsichtbarkeit eines Opfers hinwiesen, kam es zu keinerlei Reaktionen. Deshalb gehe ich davon aus, dass es nicht Pietätlosigkeit, sondern klar erkennbar Absicht war. Wenn ein Mord nicht rassistisch ist, dann ist es kein Mord, sondern ein Kollateralschaden, der keiner weiteren Erwähnung wert ist.

Wer kennt die Namen der Opfer des Anschläge von Djerba (2002) und Sousse (2015)?

Für Bundeskanzler Olaf Scholz (er ließ durch den Regierungssprecher ausrichten) war der islamistische Anschlag am Breitscheidtplatz „ein Vorfall“, um die Namen zu nennen, blieb ihm, wohl aus Respekt, keine Zeit.

Chantal Louis erinnert in der EMMA an die  Opfer von Würzburg:

Christiane Hartmann. Stefanie Wagner. Johanna H. Sie haben diese Namen nie gehört? Sie haben diese Gesichter nie gesehen? Stimmt. Dabei wurde sehr viel über diese drei Frauen berichtet. Nur: Sie wurden weder benannt noch gezeigt. Warum nicht?

https://www.emma.de/artikel/say-her-name-338847

Susanna Feldmann wurde von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth eine Gedenkminute verweigert, weil diese von der AfD vorgeschlagen wurde. Warum ist keine andere Partei auf diese Idee gekommen und hat der AfD den Wind aus den Segeln genommen?

https://www.stern.de/gesellschaft/diana-feldmann–mutter-der-getoeteten-susanna-spricht-ueber-den-schmerz-8817864.html

 Wie alle Aufzählungen ist auch diese bei weitem nicht vollständig. Es gibt sehr viele Namen, die es verdient haben gesagt zu werden. #SayTheirNames.

Wieso es jetzt zu den für Deutschland untypischen Manifestationen, von der gesammelten Staatsspitze bis zum Fußvolk, zur Nennung der Namen (wenn auch lückenhaft) gekommen ist, bedarf noch eingehender Nachforschung.  Es ist allerdings sehr zu begrüßen und ich hoffe, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt, sondern dass auch in Zukunft aller Opfer von Verbrechen würdig gedacht wird. Allerdings beschleicht mich immer ein seltsames Gefühl, wenn von der Staatsspitze ungewohnter Aktionismus ausgeht.

Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Düsseldorf rief am 4. Oktober 2000 Bundeskanzler Gerhard Schröder zum „Aufstand der Anständigen“ auf. Ein ehrenwertes Unterfangen, dass auch  sehr schnell zu einer Reihe von Projekten führte.

Die Auslöser der bundesweiten Aktionen gegen Rechtsextremismus und Rassismus einerseits sowie für Demokratie und Toleranz andererseits waren der Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge und das „Drama Sebnitz“, in dem behauptet wurde, rechtsradikale Schläger hätten einen kleinen Jungen öffentlich, vor hunderten von passiven Zuschauern, im Schwimmbad ertränkt. Beides geschah im Sommer 2000.

Obwohl weder das eine noch das andere Ereignis letztendlich den Rechtsextremisten zur Last gelegt werden konnte, lösten diese beiden Vorgänge in Politik, Presse und Öffentlichkeit hektische Betriebsamkeit aus.

https://www.bpb.de/system/files/pdf/6IOO1F.pdf

Dass es sich bei den Tätern um einen aus Marokko stammenden deutschen Staatsbürger und einen aus Jordanien stammenden Palästinenser handelte, sollte jetzt nicht weiter irritieren.

Im Hass auf Israel und die Juden sind sich alle Extremisten einig, deshalb solkte ein Anschlag von Islamisten nicht die Gefahr des Rechtsextremismus abschwächen.

Rechtsextremisten und Islamisten haben eine große Schnittmenge und teilen sich die Ideologie.

http://www.trend.infopartisan.net/trd0601/t270601.html

Trotz oder vielleicht auch wegen dieses Aktionismus tappte man lange Zeit im Dunkeln, was die Morde des NSU anging und schloss erst einmal das Naheliegende aus, dass es sich womöglich um Rechtsextremisten handeln könnte.

Das lässt auch vermuten, dass die aufgelegten Programme nicht wirklich zur Bekämpfung von Rechtsextremismus angelegt waren, sondern dass damit befreundete Organisationen gepampert werden sollten. Eine wirkliche Evaluierung der Programme findet bis heute nicht statt.  Je mehr Geld in diese „Demokratisierungsprogramme“ gepumpt wird, desto mehr scheint die Gesellschaft nach rechts zu rutschen. Das ist zwar nicht der Fall, wie die Mitte-Studie der FES zeigt:

Im Vergleich zur Mitte-Studie 2018/19 sind rechtspopulistische Einstellungen zurückgegangen. Auf den ersten Blick rückläufig sind ebenso die Zustimmungen zu menschenfeindlichen Einstellungen gegenüber Gruppen. Die Zuwanderung, die von 2014 bis 2017 prägend war, wird nur noch von knapp einem Viertel der Befragten als Bedrohung für das Land betrachtet.

Laut Mitte-Studie (PDF) hat sich der Anteil der Deutschen mit rassistischen Einstellungen in den letzten 20 Jahren fast halbiert: von 12,2 auf 7,2 Prozent.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/struktureller-rassismus-ein-irrefuehrender-begriff-100.html

Eigentlich sind das gute Nachrichten, doch die Innenministerin Nancy Faser nimmt sie nicht zur Kenntnis, weil sie ihr nicht ins Konzept oder gar zu ihrer Ideologie passen. Im Gegenteil, Frau Faeser instrumentalisiert die Morde von Hanau für ihre eigene, sehr spezielle Agenda, die sie seit dem ersten Tag ihrer Amtszeit verfolgt. Wir erinnern uns, dass bei vielen Morden, Übergriffen und Vergewaltigungen bisher immer die Aufforderung kam, niemals zu instrumentalisieren, obwohl es nicht zu übersehende Probleme gibt, die unbedingt angegangen werden müssten, gerade von der Innenministerin.

https://www.focus.de/kultur/gesellschaft/straftaten-durch-zuwanderer-bka-bericht-listet-knapp-2000-toetungsdelikte-seit-2016-auf_id_13441205.html

Nancy Faeser möchte ihre Zuhörer glauben machen, dass die Morde von Hanau in einer Reihe mit anderen rechtsextremistischen Verbrechen steht, wie denen des NSU, der Mord an Walter Lübcke oder der Terror von Halle.

@NancyFaeser ·19. Feb. bei Twitter

„Der Anschlag in #Hanau kam nicht aus dem Nichts. Geistige Brandstifter schüren Hass und stacheln gewaltbereite Extremisten an. Diese Hetzer wissen, was sie tun. Und wir müssen sie aufhalten und zur Verantwortung ziehen.“

Dazu auch Nancy Faeser bei ihrer Gedenkrede:

Da Frau Faeser die Morde von Hanau für weitreichende Maßnahmen zum Anlass nimmt, müssen diese auch näher beleuchtet werden. Was Frau Faeser völlig unter den Tisch fallen lässt, während sie verschwörungstheoretisch von Netzwerken fabuliert, sind die Erkenntnisse der forensischen Psychiatrie und des BKA. Sie muss sie wegfallen lassen, wie sie auch Gabriele Rathjen wegfallen ließ, weil ansonsten ihre Theorien wie ein Kartenhaus zusammenfallen würden. Bei dem Täter von Hanau handelte es sich um einen an paranoider Schizophrenie erkrankten Mann, der in einer eigenen von außen abgeschotteten Wahnwelt lebte.

 „In einer Analyse zum Täter heißt es, Tobias R. sei in erster Linie nicht von einer rechtsextremen Gesinnung getrieben worden. Er habe seine Opfer vielmehr ausgewählt, um möglichst viel Aufmerksamkeit für seine Verschwörungstheorie zu bekommen. Rassismus sei nicht das Hauptmotiv von Tobias R. gewesen, so die BKA-Ermittler.

https://www.sueddeutsche.de/politik/anschlag-hanau-rechtsextremismus-abschlussbericht-bka-1.4859441

Gleichlautend dazu zwei Experten der forensischen Psychiatrie, die sich sehr intensiv mit dem Täter und seinem Manifest beschäftigt haben:

Herrn Prof. Dr. med. Hans-Ludwig Kröber, Institut für Forensische Psychiatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Terrorist oder Psychopath?

Ein 43-Jähriger tötet in Hanau im Februar dieses Jahres zehn Menschen und sich selbst. Die Behörden sprechen rasch von einer rechtsextremen Tat. Der forensische Gutachter hat sich das „Manifest“ und das Leben des Amokläufers angeschaut – und kommt zu einem anderen Schluss.

https://www.zeit.de/2020/18/anschlag-hanau-rechtsextremismus-psychische-erkrankung

und Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins

 Nach meiner fachpsychiatrischen Analyse des Täter-Manifests, die zweifellos – um es zurückhaltend zu formulieren – in den wesentlichen Zügen und Schlussfolgerungen von der großen Mehrheit des Faches geteilt werden würde, hat beim Täter ein psychiatrisches Syndrom aus einem schweren paranoiden Wahn mit zusätzlichen (wahnhaften) Größenideen, zumindest zeitweiligen akustischen Halluzinationen, sogenannten Ich-Störungen in Gestalt von Gedankenausbreitung, Gedankenentzug und Gedankeneingebung vorgelegen sowie eine Denkstörung in Form einer Denkzerfahrenheit.

https://www.achgut.com/artikel/offener_brief_an_den_generalbundesanwalt_dr.peter_franke_zum_attentat_von

Jetzt könnte man einwenden, wie der von mir sehr geschätzte Psychologe und Jungle-World Autor Tom Uhlig von der Anne-Frank-Bildungsstätte, das hier eine Verharmlosung durch Pathologisierung stattfände:

Durch die Pathologisierung des Täters von Hanau ist nichts gewonnen, sie hilft nicht dabei die Tat zu verstehen, sondern verdeckt wie normal der völkische Wahn bereits geworden ist. Den rechten Hetzern ist zu sagen: Das ist einer von euch!

https://www.belltower.news/terror-in-hanau-verharmlosung-durch-pathologisierung-96079/

Bei aller Wertschätzung, hier verrennt sich Tom Uhlig außerhalb seines Fachgebiets, Psychologie ist nicht forensische Psychiatrie. Ihm wie auch Frau Faeser täte es gut, auf die Wissenschaft zu hören, anstatt sich von Ideologie leiten lassen. 

Man könnte jetzt sagen, alles gut und schön, was BKA und Wissenschaftler hier behaupten, der Kampf gegen Rechts (eigentlich ist Rechtsextremismus gemeint, füge ich wohlwollend an) muss weiter und unerbittlich geführt werden. Sicherlich, er muss aber auch effektiv und zielgerichtet erfolgen. Das sehe ich bei Frau Faeser nicht. Sie kommt mit Maßnahmen deren Ineffizienz jetzt schon absehbar ist oder sogar einer Indoktrination gleichkommen. Hinzu kommt, dass sie der Bevölkerung ein Demokratiebewusstsein abspricht, was auf mich schon fast beleidigend wirkt.

 

@BMI_Bund

Nancy #Faeser setzt beim Kampf gegen Rechtsextremismus auch auf Prävention & #Bildung: „Wir brauchen eine Demokratieerziehung, die klarmacht, dass egal ist, wo eine Familie irgendwann einmal hergekommen ist, welche Hautfarbe jemand hat, an wen er glaubt oder wen er liebt.“

@faznet

Es gibt bereits Dutzende von Maßnahmen und Projekte, die in diese Richtung gehen. Vielleicht sollte sich Frau Faeser erst einmal mit der Familienministerin in Verbindung setzen, die einen gigantischen Topf für diese Projekte verwaltet und dafür sorgen, dass eine Evaluierung stattfindet.

https://www.demokratie-leben.de/weiterentwicklung-demokratie-leben-in-2021.

Noch bedenklicher ist dieses Vorhaben:

Bundesinnenministerin will Demokratieerziehung „schon im Kindergarten“

Nancy Faeser fordert eine frühzeitige Erziehung gegen Rechtsextremismus. Kinder und Jugendliche sollten für Ideologien der Ausgrenzung gar nicht erst anfällig werden.

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-02/nancy-faeser-rechtsextremismus-kampf-kita-bundesinnenministerin

Auf mich macht das den Eindruck, dass hier eine Ideologie mit einer anderen Ideologie bekämpft werden soll, antifaschistische Erziehung wie in der DDR, von der Wiege bis zur Bahre, die nachweislich völlig fehlgeschlagen ist, wie man auch bei Uwe Mundlos (NSU) sah.

Der Druck des DDR-Systems tat offensichtlich sein Übriges: Die Jugendorganisationen „Jungpioniere“ und „Thälmann-Pioniere“ sowie die „FDJ“ lockten Jungen wie Uwe Mundlos und Rick Amann. (Spiegel von Julia Jüttner/Sven Röbel 12.11.2012)

Solche Vorhaben sollte Frau Faeser noch einmal überdenken und sich von Experten beraten lassen.

Ich habe das Gefühl, dass sich die Bundesinnenministerin in ihrer Besessenheit vergaloppiert und mehr Schaden anrichtet, als je wieder gut gemacht werden kann.